3. ARIO DE ROSALES

An Weihnachten habe ich die Familie meines Kollegen Alan kennen gelernt, die mich damals sogleich zu sich nach Hause nach Michoacán eingeladen hatten. Alan fährt allerdings nur alle sechs Monate seine Familie besuchen und so verging noch mal ein Viertel Jahr bis wir für ein langes Wochenende nach Ario de Rosales aufbrachen. Ich freute mich riesig mal aus der Bucht herauszukommen und eine neue Gegend in Mexiko kennen zu lernen.

 

 

Michoacán ist der Bundesstaat südlich von Jalisco. Puerto Vallarta liegt ja am nord-westlichsten Punkt von Jalisco in der Banderas Bucht und so mussten wir den gesamten Bundesstaat durchqueren, um nach Michoacán zu kommen. In Mexiko wird in erster Linie mit Bussen gereist und obwohl es auf der Karte nicht nach einer so großen Distanz aussieht, so sind es doch zehn Stunden Fahrt und wir nahmen daher einen Nachtbus, der sehr komfortabel war und in dem wir gut schlafen konnten.

 

Am frühen Morgen kamen wir in Morelia, der Hauptstadt von Michoacán, an und nahmen einen weiteren Bus für noch einmal vier Stunden bis nach Ario de Rosales, dem Heimatort von Alan. Auf der Fahrt sah ich eigentlich nichts außer Avocado-Plantagen so weit das Auge reicht. Michoacán ist der Bundesstaat Nummer 1, wo Avocados am besten wachsen und nach ganz Mexiko verteilt und ebenso exportiert werden.

 

In Ario de Rosales war ich nun wirklich zu 100% in Mexiko angekommen und schon meine anderen Kollegen im Hotel hatten mir gesagt, dass es in dieser Gegend wirklich nicht einen Funken internationalen Tourismus (und entsprechende Infrastruktur) gibt und dass es mir daher sicherlich sehr gut gefallen wird, Mexiko so authentisch kennen lernen zu können.

 

Eine der Straßen im Dorf:

 

 

Die kleine Schwester Lupita:

 

 

Tatsächlich war es einmalig in dieser kleinen Ortschaft herumzuschlendern und all die Einheimischen zu sehen, die vor Freude aus ihren Häusern und Läden kamen, um Alan zu umarmen. Die Wiedersehensfreude war groß und jede einzelne Begrüßung herzlich. Ich wurde immer gleich mitumarmt und gebusselt und musste alle fünf Minuten bestätigen wie gut es mir hier gefällt. Sie waren alle ganz aus dem Häuschen, dass ich zu Besuch mitgekommen war und ich hatte wirklich das Gefühl, dass hier noch nie zuvor ein europäischer Tourist mit blonden Haaren und farbigen Augen Halt gemacht hatte. Ich gab es irgendwann auf, mitzuzählen wie oft ich gefragt wurde, ob ich grüne Kontaktlinsen in meine Augen eingesetzt hatte. :-)

 

Alan mit Lupita und seiner Mama vorm Haus:

 

 

Wie das meistens so ist, findet man gerade in ärmeren Gegenden besonders große Familien. So hat auch Alan eine riesige Verwandtschaft und ich brachte sämtliche Cousins und Cousinen durcheinander, weil es einfach viel zu viele waren, die ich beinahe gleichzeitig auf dem Straßenmarkt kennen lernte, auf den wir für die Wochenendeinkäufe gingen. Der Markt ist der allgemeine Treffpunkt am Samstagmorgen und die Einkäufe, die man vielleicht in einer halben Stunde erledigen könnte, beendet man irgendwann nach drei Stunden, bis man mit jedem Bekannten und Verwandten sein Schwätzle gehalten und den neusten Tratsch ausgetauscht hat.

 

Obst- und Gemüsestand auf dem Markt:

 

 

Am Straßenrand ein Laden für Kleidung:

 

 

Alan mit seiner Familie, links ein Bruder der Mama:

 

 

In Ario de Rosales bilden die Kirche und ein kleiner Park den Mittelpunkt des Ortes. Hier kann man sich unter einem Sonnenschirm die Schuhe putzen lassen oder frische Empanadas kaufen, die typischen gefüllten Teigtaschen mit Hackfleisch, Bohnen oder Käse.

 

 

 

 

Lupita nimmt im Park das Handy ihres großen Bruders unter die Lupe:

 

 

In dem kleinen Dorf geht eigentlich alles direkt von einer Hand in die andere: wer ein paar Haushaltssachen besitzt, macht einfach einen kleinen Laden auf, wer einen Topf und eine Pfanne besitzt, kocht und verkauft zum Küchenfenster heraus, wer einen Backofen hat, backt süße Brötchen und geht damit durch die Straßen, wer eine Schere und einen Kamm hat, schneidet Haare, wer einen Computer besitzt, bietet Internet an oder verkauft gebrannte CDs... Es ist für unsere Verhältnisse ungewohnt, aber es ist wunderbar zu sehen wie prima alles funktioniert, es schlussendlich an (fast) nichts fehlt und wie zufrieden, glücklich und ausgeglichen die Menschen hier sind.

 

 

Und die Milch, ja die wird noch wie in guten alten Zeiten abgefüllt und mit dem Pferd nach Hause gebracht.

 

 

Als wir vom Markt zurück waren, wollten mir die Mama und die kleine Lupita unbedingt ein echt mexikanisches Gericht beibringen und so lernten sie mir wie man Enchiladas mit allem drum und dran macht.

 

 

Das war eine ganz schön heiße Angelegenheit, weil alles in dem kleinen Becken im Fett herausgebacken wird, das nach allen Richtungen spritzt. Kein Stückchen Fleisch, keine Kartoffelscheibe, keine Tortilla... kommt an dem Fett vorbei. Gerade mal die Salatblätter lassen sie natur und streuen sie am Schluss übers Essen. Es war eine echt spaßige Aktion und ein viel traditionelleres Gericht hätten sie mir kaum beibringen können. Doch es ist bestimmt nichts, was ich zu Hause nachkochen werde. Man muss schon sagen, dass die Mexikaner nicht umsonst im Durchschnitt alle etwas rundlich sind – ihre Küche ist einfach wahnsinnig fettig.

 

 

 

Am Abend gingen wir noch mit Lupita’s kleinem Hund auf einen Spaziergang.

 

 

Die Familie hatte mich wirklich ganz herzlich aufgenommen und es war schön, sich mal ein Wochenende nicht um Gäste zu kümmern, sondern einfach nur unter Mexikanern in einem kleinen Dorf mitten im Nirgendwo zu sein, wo nach Sonnenuntergang Ruhe in den Straßen einkehrt und das Leben so friedlich und einfach scheint, dass man fast vergessen könnte, welche Probleme es außerhalb der kleinen Ortschaft gibt. Doch das bekommen die Menschen hier gar nicht mit, für sie gibt es einfach nur ihre kleine Welt im Dorf. Kaum einer verlässt es je. Alan ist gewissermaßen der große Auswanderer, weil er sich entschieden hat, in einem anderen Bundesstaat zu leben und wird daher jedes Mal so herzlich und mit einem Wirbel begrüßt wie ich ihn mir nur wünschen könnte, wenn ich nach acht Monaten aus dem Ausland zurückkomme, hahaha.

 

Nein, Spaß beiseite, man muss sich das einfach so vorstellen, dass die lange Busfahrt (hin und retour) umgerechnet fast 60 EUR kostet und das für die Bevölkerung hier unwahrscheinlich viel Geld ist. Deshalb empfinden sie es immer als etwas ganz Besonderes, wenn Alan zu Besuch ist. Seine Eltern können ihm die Fahrt nicht zahlen, wenn er sie besuchen kommt. Das ist kein Problem, weil Alan im Hotel normal (d.h. irgendwas zwischen 350-500 EUR) verdient und davon etwas auf die Seite legen kann, weil ihm als Animateur zusätzlich Unterkunft und Verpflegung zur Verfügung gestellt werden. Aber es gibt genug andere, die am Ende des Monats keinen Cent mehr in der Tasche haben und für die es unvorstellbar ist, auch noch eine Busfahrt bis nach Hause zu finanzieren.

 

Es ist schon verrückt, wenn man bedenkt wie oft wir an der Tankstelle oder am Bahnhof beinahe selbstverständlich 60 EUR liegen lassen. Hier im Dorf bekommt man wieder ein anderes Gefühl für diesen Geldbetrag und wenn man sieht wie glücklich die Menschen ihr bescheidenes Leben führen, dann fragt man sich doch, warum wir zu Hause nicht mindestens genauso zufrieden sein können mit all dem, was uns sogar mehr zur Verfügung steht als den meisten hier. Wir sollten eigentlich jeden Tag mit einem Lächeln im Gesicht aus der Haustür spazieren...

 

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